Behutsames Vergabeverfahren

Berlin zerstört seine natürlichen Schätze Während in der globalen Debatte über zeitgemäße Stadtentwicklungsstrategien nach neuen Wegen gesucht wird, um mit der Finanzkrise klar zu kommen, gewinnt die neuere Geschichte Berlin's mit ihren Ad-hoc-Entwicklungen immer mehr internationale Beachtung. Andere europäische Städte übernehmen Berlin's kooperativen Modelle (Baugruppen) und die Strategien temporärer Nutzung und passen sie ihren örtlichen Verhältnissen an.

Jetzt ist die Zeit, diese Experimente auf ein neues Level zu bringen. Wenn man innovative Städte will, ist es wichtig zu verstehen, welche kritische Rolle Eigentums-Prästrukturen spielen. Hier müssen Veränderungen gewagt werden, die lokal wachsende Städte fördern.

Wie und an wen Bauland verkauft wird, legt eine Prästruktur fest, die einen massiven Effekt auf Stadtentwicklung hat. Nachdem das Land verkauft ist, hat die Stadt nahezu keine Einflussmöglichkeit mehr. Wir dürfen die langfristigen Prozesse, die unsere gebaute Umwelt prägen nicht länger ignorieren.

Rechnen für die Zukunft

Berlin verkauft sein öffentliches Bauland immer noch an die Meistbietenden. Die simple Logik dahinter lautet “Maximierung des kurzfristigen Gewinns.” Einen funktionierenden und transparenten Markt vorausgesetzt, ist diese eindimensionale Art der Evaluierung leicht. Der vereinfachte Ansatz wird auf lange Sicht teuer, weil städtische Wirtschaftszusammenhänge komplex sind und deshalb über die kurzfristigen Vorteile hinaus gerechnet werden muss. Die Bedürfnisse der Gemeinschaft ändern sich und Land, das schon verkauft wurde, muss oft teuer zurück gekauft oder durch andere Käufe ersetzt werden.

Frühere Beispiele zeigen, dass solche Transaktionen die Gemeinschaft am Ende viel mehr gekostet haben, als der kurzfristige Verkaufserlös eingebracht hat. Ein gutes Beispiel hierfür ist meine Analyse des Verkaufs der Berliner „Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft“ GSW im Jahr 2004 an ein Konsortium von Investmentgesellschaften:

Ein behutsames Vergabeverfahren verändert die Prozesse des Verkaufs von öffentlichem Bauland. Es berücksichtigt die langfristigen Ziele der Gemeinschaft und bezieht soviele Bürger wie möglich in die Stadtentwicklung ein. Die folgenden fünf Prinzipien beschreiben die Werte und Ziele eines gemeinsamen Entwicklungsprozesses. Das behutsame Vergabeverfahren stellt eine Alternative zu dem Ausverkauf des öffentlichen Baulands dar.

1. Eigentum langfristig erhalten

Städte geben mit dem Verkauf ihres Baulands freiwillig die Kontrolle ab. Ist das Land erst einmal verkauft, ist es schwer bis unmöglich die Interessen der Gemeinschaft den neuen Eigentümern gegenüber durchzusetzen. Nach dem Verkauf hat die Stadt nahezu keine Möglichkeit mehr auf die Qualität des städtischen Umfelds Einfluss zu nehmen. Sie kann die zukünftige Nutzung des Grundstücks nicht mehr in einer Weise steuern, die auch soziale Bedürfnisse berücksichtigt.

Alte Strukturen dienen neuen Zwecken Wenn die Stadt bereit ist, ihre Verkaufsmethode auf ein Modell umzustellen, das auf Erbbaurecht basiert, kann sie sicher stellen, dass ihre Interessen berücksichtigt werden und zwar langfristig. Amsterdam z.B. gehört 80% seiner Bodenfläche. Die Stadt verpachtet ihre Grundstücke auf Grundlage des Erbaurechts an private Investoren. Durch diese Kombination von privatem Unternehmertum auf öffentlichem Eigentum kann Amsterdam den Entwicklungsprozess genau steuern. Die Stadt bleibt langfristig flexibel und bessert kontinuierlich ihre kommunale Kasse auf.

Anstatt ein Grundstück zu verkaufen, kann es die Stadt für die nächsten 100 Jahre an lokale Initiativen verpachten. Dieser Akt garantiert für beide Seiten langfristige Stabilität. Er entkoppelt außerdem den spekulativen von dem funktionalen Wert des Grundstücks, was wiederum die Lebenshaltungskosten und die gesamte Geschäftstätigkeit auf dem Markt stabilisiert.

Weil die Stadt Eigentümerin des Grundstücks bleibt, ist ihr ein dauerhaftes und regelmäßiges Einkommen sicher. Dieses Einkommen übersteigt den kurzfristigen Gewinn eines einmaligen Verkaufs.

2. Stewardship: Zukunft erhalten durch Prozeßsteuerung

Öffentliche Räume geniessen Da städtisches Bauland eine knappe und endliche Resource ist, muss die Ausschreibung auf nachhaltigen Werten und Zielen beruhen.

“Stewardship ist eine Ethik, die verantwortungsvolle Planung und Verwaltung von Ressourcen verfolgt, verbunden mit dem Konzept von Nachhaltigkeit und der Idee, dass etwas verwaltet wird, das jemand anderem gehört.”

Wikipedia

Bei der Gestaltung von Entwicklungsprozessen, müssen Regierungen als Treuhänder für zukünftige Generationen agieren und nicht als kurzfristige Krisenmanager. Für den Denkmalschutz haben unsere Städte Behörden. Wir schlagen die Integration von Zukunftsschutz als ebenso wichtige Komponente der Stadtentwicklung vor. Dies würde sicherstellen, dass auch zukünftige Generationen noch Zugang zu räumlichen Ressourcen haben.

3. Die beste Nutzung finden, nicht den besten Preis

Um die Gemeinde aktiv in allen Phasen von Entwicklungsprozessen als Teilhaber einzubeziehen, basiert ein behutsames Vergabeverfahren auf der Grundlage eines gesteuerten Dialogs mit so vielen lokalen Akteuren wie möglich.

Die beste Nutzung finden Der Preis ist nicht der einzige Weg den Wert für die Gemeinde zu messen. Oft generiert die Art der Nutzung eines Grundstücks mehr Wert für die Gemeinschaft, als der finanzielle Gewinn aus dem Verkauf. Gerade in schwierigen Stadtteilen können Nutzungsstrategien soziale Probleme entschärfen. Wenn soziale Probleme nicht gelöst werden entstehen Kosten, die oft höher sind als der Verkaufserlös.

Die richtige Nutzung für einen Ort zu finden, ist für das Gelingen jeden Projektes der kritische Faktor. Misslungene Investitionen sind oft das Ergebnis falscher Nutzungsentscheidungen. Wenn Investitionen scheitern, zahlt die ganze Gemeinde den Preis, daher ist es nur logisch, dass sie auch in den Entwicklungsprozess eingebunden wird.

Wenn Workshops anstelle von Auktionen treten, können die lokalen Bedürfnisse, Visionen und Werte bei Projektentwicklungen mit einbezogen werden. Eine Entwicklung, die tief mit der Nachbarschaft verflochten ist wird erfolgreicher sein, als eine die aus Top-Down-Entscheidungen hervorgegangen ist.

4. Einstiegshürden senken um Zusammenarbeit zu ermutigen

Je weiter neue Technologien die Gesellschaft umformen, desto öfter werden Top-Down-Prozesse durch Zusammenarbeit ersetzt. Diese Art von prästruktureller Verschiebung ist für Stadtentwicklung genauso wichtig, wie für Softwareentwicklung. Das kollaborative Paradigma hinter Open Source Software (z.B. Linux und Open Office) kann auch die Art und Weise wie wir Städte bauen und nutzen revolutionieren.

Einstiegshürden senken Indem es Einstiegshürden senkt strebt das behutsame Vergabeverfahren an, breite Schichten der Bevölkerung in die städtischen Entwicklungsprozesse einzubeziehen.

Zur Zeit sind die Verkaufsprozesse von öffentlichen Liegenschaften auf die Bedürfnisse von mittleren bis großen professionellen und institutionellen Investoren zugeschnitten. Derzeit übliche Bieterverfahren begrenzen aktive Teilnahmemöglichkeiten auf einen kleinen Kreis von Investoren, die entweder das Geld oder den Rückhalt von Finanzinstitutionen haben. Wenn diese Prozesse auch die Bedürfnisse und Möglichkeiten von vielen Bürgern und kleinen Initiativen berücksichtigen, lösen sie neue Wellen urbaner Innovation aus. Diese Veränderung kann dazu beitragen, dass unsere Städte lebendiger und authentischer entwickelt werden.

Während des Workshopprozesses evaluiert die Stadt die verschiedenen vorgeschlagenen Nutzungen für das Grundstück und auch die beteiligten Initiativen. Dem bevorzugten Bieter kann sie z.B. eine Pachtoption auf zwei Jahre garantieren. Diese Option definiert die zukünftigen vertraglichen Bedingungen und gibt der Initiative die Zeit und die Sicherheit, die sie benötigt, um die Finanzierung zu organisieren und die detaillierte Planung fertig zu stellen. Bei dieser Rechtevergabe werden außerdem vertragliche Meilensteine und die Konsequenzen bei Nichterfüllung festlegt, damit die Stadt die Fortschritte überprüfen kann.

Durch die Umwandlung von Landverkäufen in einen verwalteten und gesteuerten Prozess von Rechtevergaben, wird das ganze System der städtischen Entwicklung flexibler. Dies senkt die Beteiligungshürden. Durch die Einbeziehung all der interessierten Bürger, die heute noch aus dem Entwicklungsprozess ausgeschlossen sind, wird das wirtschaftliche Potential von lokal gewachsenen Projekten enorm erhöht.

In Start-Up Stadt haben wir den Wert von Entrepreneurinitiativen für die lokale Wirtschaft untersucht. Um diese innovativen Start-Ups in die städtischen Entwicklungsprozesse zu integrieren, müssen die Einstiegshürden soweit verändert werden, dass sie ihren Bedürfnissen entsprechen. Ein behutsames Vergabeverfahren ermutigt örtliche Initiativen von temporärer zu langfristiger Nutzung zu wachsen. So schaffen sie mehr Jobs und eine stabilere lokale Wirtschaft.

5. Privatunternehmen in Zaum halten

Privatunternehmen in Zaum halten Privatwirtschaftliches Unternehmertum wird zu Recht als der effektivste Weg gesehen, um wirtschaftliche Aktivität zu organisieren. Die Stadt Amsterdam koppelt private Unternehmen effektiv an öffentliches Eigentum. Ihr Modell erfüllt langfristige städtische Bedürfnisse und gleichzeitig generiert es für private Unternehmen profitable Möglichkeiten.

Mit der richtigen Mischung aus öffentlicher und privater Initiative, kann die Stadt Entwicklungen strukturieren und leiten, ohne dabei Risiken einzugehen, oder Verantwortung zu übernehmen, die ihre tatsächlichen Möglichkeiten sprengen oder ihre eigentlichen Aufgaben überschreiten.

Berlin entwickelt neue Strategien

Diese Prinzipien beschreiben die Ziele des behutsamen Vergabeverfahrens. Die aktuelle Gesetzgebung, die die Liegenschaftsverkäufe regelt, muss auf den neuesten Stand gebracht werden. Sie muss die veränderten Bedürfnisse der sich entwickelnden Gesellschaft reflektieren. Berlin ist das ideale Testfeld für diese Ideen. Dieses Diagramm zeigt, wie es funktionieren könnte:

verwalteten und gesteuerten Prozess
von Rechtevergaben


Dieser Artikel wurde am Samstag, den 5. Mai in der Berliner Zeitung veröffentlicht.

Dieser Blog möchte ermutigen, Stadt selbst zu machen

Historisierend zu bauen ist nicht harmlos sondern armselig!

Architektur muss als Kunst natürlich immer zeitgemäß sein. In Berlin sind wir aktuell mit einem aggressiven Aufleben der auf seltsamste Weise historisierenden Lochfassadenfraktion konfrontiert. Es ist wichtig zu unterscheiden zwischen ‘Bürgerwille’ und Architekten, die diesen uninformierten Bürgerwillen ausnutzen und sich aus unlauteren Motiven zu deren Sprecher machen.

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