Gespräche: Madeleine von Mohl

Madeleine von Mohl in unserem Büro Madeleine von Mohl ist eine der sechs Gründer des Betahaus, einem Coworking Space mit Werkstätten, einem Café und verschiedenen Konferenz- und Büroräumen. Einzelpersonen oder Firmen können hier Arbeitstische für einen Tag oder pro Monat mieten. Mit diesem flexiblen Ansatz ist Betahaus ein beispielhaftes Modell für die neue Organisation von Arbeit. Betahaus wächst rasant über seine Homebase am Moritzplatz hinaus.

Jahrelang war der Moritzplatz einer dieser Orte in Berlin, die von der mentalen Karte der Stadt herunter gerutscht waren. In Kreuzberg, nahe dem früheren Verlauf der Berliner Mauer gelegen, wurde er in den letzten Jahren von beispielhaften 'locally grown projects' wie den Prinzessinnengärten, dem Aufbauhaus, Planet Modulor und natürlich dem Betahaus transformiert.

Dies ist das erste Gespräch einer Serie mit den Leuten hinter den locally grown projects, die Berlin zu einem interessanten Ort machen.

Wir interessieren uns für die Geschichten hinter den Projekten und wie sie erzählt werden. Wir freuen uns, dass wir die Gelegenheit hatten mit Madeleine zu sprechen. Hier sind einige Auszüge aus unserem zwei Stunden langen Gespräch.

Madeleine erzählte uns wie sie ihre Partner traf, woher die Ideen kamen und wie alles anfing vor vier Jahren (2008). Wir wollten auch wissen, wie das Betahaus in die Stadt passt und was Ideen wie diese tun können, um die Entwicklung der Stadt zu transformieren.

Setzen Sie sich zu uns an diesem sonnigen Nachmittag in unserem Büro oder gehen Sie direkt zu dem Abschnitt, der Sie am meisten interessiert.


Betahaus bei Nacht Matthew Griffin (MG): Wie bist du aufgewachsen und wie hat dich das geprägt für deine jetzige Situation? Wie hat das zum Betahaus geführt?

‪Madeleine von Mohl (MM): Ich bin in Bad-Segeberg, Schleswig Holstein groß geworden. '92 sind meine Eltern mit uns auf's Land zwischen Gotha und Erfurt auf einen alten Bauernhof gezogen. Zwischen 10 und 16 Jahren bin ich auf Baustellen großgeworden, weil meine Eltern zwei alte Höfe renoviert haben. Der Geruch von frischem Beton erinnert mich immer noch an Zuhause.‬

‪Britta Jürgens (BJ): Das Provisorische und Praktische reizt dich also?

‪MM: Ja, mich interessiert der Zustand des Unfertigen. Wenn man sich überlegen kann, was gibt es für Entwicklungsmöglichkeiten? ‬

In Bad Segeberg ging es allen um mich herum genauso gut wie mir. Jeder hatte ein Haus, einen Garten, ein Pony und den See vor der Tür. Plötzlich waren wir in Erfurt, im Gegensatz zu Bad Segeberg eine richtige Großstadt. Ich war die Neue und erstmal auch Aussenseiterin.

Glücklicherweise war ich fast die ganze Zeit auf neu gegründeten Schulen, da war ein bunter Mix von Schülern, Ost/ West, Katholisch/ Evangelisch, Stadt/ Land - das war super.

Nach dem Abitur war ich ein halbes Jahr in Washington DC USA. 2001 startete dann mein Studium. Erstmal in Dresden. Eigentlich wollte ich sofort nach Berlin, aber leider hatte mich die HU in Berlin abgelehnt… ‬

Zufall

‪BJ: Was hast du denn studiert?

‪MM: Geschichte und Germanistik. Sehr prägend war für mich, dass ich im Studium viel Zeit für Praktika hatte und mich ausprobiert habe. Im Auslandssemester in Portugal habe ich übrigens meinen jetzigen Kollegen Christoph Fahle kennen gelernt. Wir haben damals nur kurz ein paar Worte gewechselt. Zwei Jahre später sind wir uns dann in Breslau wieder begegnet.

Betahaus meeting room In den Semesterferien habe ich wieder mal ein Praktikum gemacht. Diesmal in Brüssel, weil ich mich mit der Europäischen Politik auseinander setzen wollte. Plötzlich landete in meiner Mailbox eine Ausschreibung für ein europäisches Jugendprojekt, Thema Osteuropa, es hieß Europazug. Das Ticket für den Zug konnte man erwerben, indem man eine Idee zu dem Thema einreichte, wie man den Bürger wieder der EU näher bringen könnte. Ich habe mir ein Filmprojekt ausgedacht und das wurde genommen! Auf meine Bitte, einen Kameramann zu stellen, haben sie nur geantwortet, "Das müssen sie selber lösen, dafür reicht das Budget nicht."

Ich bin dann zum Vorbereitungsseminar nach Breslau/ Polen gefahren, mitten im Winter. Ich steh' da am Bahnhof und wer steht auch noch da mit einem Rucksack und 'ner Mütze? Christoph aus Portugal - anderthalb Jahre später!

Ich so: "Hallo was machst du denn hier? Ich glaub ich kenne dich vom Strand in Portugal!" "Ja stimmt, ich bin Christoph", und dann hat er von seinem Europaprojekt erzählt und das war exakt die gleiche Idee, die ich auch hatte. Er konnte auch die Kamera bedienen. Von da an haben wir angefangen zusammen zu arbeiten.

Christoph hatte parallel dazu noch eine studentische Agentur aufgebaut, hier in Berlin, die Politikfabrik. Da haben wir seit 2006 zusammen gearbeitet. Den Wahlomat kennt ihr vielleicht? Das hat die Politikfabrik entwickelt.

‪BJ: Ja klar, den habe ich neulich das erste Mal benutzt.

Warum gibt es nicht ein Büro, das sich an die Auftrags- oder Projektlage angleicht?

‪MM: Da fing eigentlich das an, was wir jetzt im Betahaus umsetzen. Wir hatten 150 qm. Wenn wir ein Konzept geschrieben haben, saßen wir da zu dritt auf diesen 150 qm. Viel zu groß und viel zu teuer. Wenn wir ein Projekt umgesetzt haben, hatten wir plötzlich 30 Volontäre und Freelancer und das Büro war wieder viel zu klein und unser Budget hätte für ein doppelt so grosses Büro gereicht. Wir haben uns gefragt: "Warum gibt es nicht ein Büro, das sich an die Auftrags- oder Projektlage angleicht?"

Betahaus Coworking Space ‪BJ: Das Betahaus ist also aus eurem eigenen Bedarf entstanden!

‪MG: Welches Jahr war das?

‪MM: 2005 haben wir uns in Breslau getroffen und im Sommer 2008 haben wir das erste Mal über das Betahaus geredet. Tonia Welter, eine Produktdesignerin aus der UDK war schon länger mit Christoph im Gespräch über die Zukunft der Arbeit und einen Ort an dem man das ausprobieren könnte. 'In der Uni haben wir gemeinsame Ateliers und können zusammen arbeiten. Vor dem Professor sind wir eigentlich so etwas wie Konkurrenz und trotzdem können wir uns gegenseitig bei unseren Ideen helfen und inspirieren. Aber sobald wir unser Diplom haben, hat jeder sein eigenes Atelier und keiner darf dem anderen mehr über die Schulter gucken. Warum können wir nicht im professionellen Leben sowas ähnliches weiter machen?' Unsere praktische Erfahrung und ihre theoretische Auseinandersetzung kamen zusammen und gemeinsam mit Maximilian v.d.Ahé (Anwalt), Stephan Bielefeldt (BWLer) und Gregor Scheppan haben wir dann angefangen den Businessplan für das Betahaus zu schreiben.

‪BJ: Zu diesem Zeitpunkt habt ihr alle schon jahrelange Business Erfahrung gehabt.

‪MM: Projekt- und Teamerfahrung auf jeden Fall. Jeder von uns hat schon in seinem Bereich Berufserfahrung gesammelt. Aber eine Firma hatten wir noch nicht gegründet!

‪MG: Gab es einen bestimmten Moment, wo ihr gesagt habt: "O.K., das ist es was wir machen wollen!" Welcher Augenblick war das?

Ihr seid absolute Träumer, ich glaube nicht, dass es funktioniert. Aber ich mag euch.

Betahaus Nachrichtensystem: Foto BJ ‪MM: Das war irgendwann im Sommer 2008. Christoph, unsere Ideenmaschine hatte uns alle an einen Tisch geholt. Im Herbst 2008 haben wir angefangen uns Büroräume anzuschauen. In unseren jetzigen Standort in der Prinzessinnenstrasse sind noch kurz vor Weihnachten eingezogen. Vorher haben wir sehr viele überrenovierte Immobilien im Prenzlauerberg angesehen, das passte überhaupt nicht! Von der Prinzessinnenstrasse waren wir dann sofort überzeugt. Wir standen da drin und dachten: "Ja hier ist viel Platz, hier können wir uns verwirklichen."

‪BJ: Das war so ein Bauchgefühl?

‪MM: Ja und vor allem gab es da eine Hausverwaltung, die an uns geglaubt hat! Sehr schnell hatten wir einen Termin bei der Geschäftsführung, wo wir unser Geschäftsmodell vorstellen konnten. Die damalige Geschäftsführerin meinte, "Ihr seid absolute Träumer, ich glaube nicht, dass es funktioniert. Aber ich mag euch. Ihr könnt ausnahmsweise auf ein paar Monate begrenzt mieten und wenn es nicht klappt, könnt ihr ohne Probleme wieder raus gehen."

‪BJ: Die sind ja eigentlich gar kein Risiko eingegangen.‬

‪MM: Sie haben schon ein paar Umbauten für uns gemacht. Die Café-Eingangstür gab es zum Beispiel nicht. Wir waren ziemlich froh, dass wir uns nicht sofort auf 5 Jahre binden mussten. ‬

‪MG: Als ihr die Räume gesucht habt, hattet ihr da schon eine Art Businessplan geschrieben?

Betahaus Coworking Space ‪MM:Ja, wir hatten einen klassischen Businessplan geschrieben. Das brauchten wir schon allein um das Geschäftskonto aufzumachen oder einen Kontokorrentkredit zu bekommen. ‬

‪MG: Wie wart ihr kapitalmässig ausgestattet, als ihr gestartet habt?

‪MM: Wir hatten nur das Stammkapital für die Gründung der GmbH sonst war da am Anfang nicht viel. Die ersten Umsätze haben wir dann sofort wieder reinvestiert.

‪BJ:Jeder hat parallel noch woanders gearbeitet?

‪MM: Und dann hatten wir Glück, eigentlich vom ersten Tag an! Zufällig meldete sich sofort ein Freund von einem Freund, der dringend aus seinem Büro raus musste und direkt bei uns einzog und sogar noch die Möbel mitbrachte.

Und dann hatten wir Glück, eigentlich vom ersten Tag an! Zufällig meldete sich sofort ein Freund von einem Freund, der dringend aus seinem Büro raus musste und direkt bei uns einzog und sogar noch die Möbel mitbrachte.

1000 Leute, die bis morgens um sechs gefeiert haben.

‪MG: Es ging also sofort los. Du hast den möblierten Raum, du hast die erste Miete und der Nachwuchs kam von alleine rein.

‪MM: Genau und von Januar bis zum1. April haben wir eine Probephase gemacht, die hieß Betalab. Die ersten 250 qm waren nach einem Monat voll. Wir haben sofort nochmal 250 qm dazu gemietet, parallel das Café umgebaut und am 1. April haben wir das Betahaus offiziell eröffnet.

Betahaus Café ‪BJ: Moment mal, nach drei Monaten hattet ihr das Café schon eröffnet?

‪MM: Ja und die Einweihung haben wir ordentlich gefeiert. Create Berlin war mit von der Partie. Die Resonanz auf die Party hat mich umgehauen. Zwischendurch standen 1000 Leute vor der Tür, die bis morgens um sechs gefeiert haben. Wir brauchten zwei Wochen, um den Boden wieder sauber zu bekommen, weil wir natürlich noch keine Reinigungsfirma beauftragt hatten.

In diesen ersten drei Monaten haben wir immer betont, dass alles laborartig ist. Wir haben uns jede Woche mit unseren Leuten zusammen gesetzt und haben gefragt, "Wie findet ihr es? Was braucht ihr?"

‪MG: Das war die Testphase, aber was hattet ihr mit den Vermietern ausgehandelt? Hattet ihr eine Option?

‪MM: Ich glaube, wenn es hart auf hart gekommen wäre, hätten wir nach drei Monaten wieder raus gehen können. Aber sobald wir gesagt haben, "Wir bleiben!", waren wir an einen offiziellen Mietvertrag gebunden und den verlängern wir jetzt gerade.

‪BJ:Ihr habt immer noch den ersten Mietvertrag?

‪MM: Genau, wir haben dann immer Flächen dazugemietet. Mittlerweile haben wir fünf Mietverträge parallel laufen.‬

‪BJ: Immer stückweise, ganz nach Bedarf. Ideal. ‬

‪MM: Ja, und dann haben wir erstmal versucht unser Tagesgeschäft hinzukriegen. Wir sind gewachsen, gewachsen, gewachsen. Bis Mai 2011 hatten wir noch zwei weitere Häuser in Köln und Hamburg aufgebaut. Die sind auch noch weiter gewachsen und plötzlich haben wir gemerkt, dass der Überbau gar nicht mitgewachsen ist. Das Rechnungswesen und die Prozesse waren noch so, als ob wir nur 30 Mieter hätten und nicht 200. Von Mai bis Dezember 2011 haben wir alles ordentlich aufgeräumt und neue Prozesse entwickelt. Als Team haben wir uns einen Coach genommen, um unsere Jobprofile und die Prozesse zu definieren, das hat uns sehr geholfen. 2012 geht es jetzt darum die Häuser in Barcelona und Sofia aufzubauen.

Madeleine, jetzt kannst du deinen Kollegen sagen, den ersten Investor hast du gefunden!

‪MG: Wie viele seid ihr jetzt im Team?

Betahaus Nachrichtensystem ‪MM: Wir sind immer noch die gleichen sechs Gründer und haben noch zwei externe Gesellschafter mit reingeholt. Die beiden sind nicht im Tagesgeschäft sondern kommen alle paar Monate vorbei, um uns bei der Strategieplanung zu unterstützen.

‪MG: Zu welchem Zeitpunkt sind sie reingekommen?

‪MM: Ziemlich am Anfang. Den einen hatte ich am Anfang angerufen und gebeten mir zu erklären, wie man Investoren anspricht, "Gib mir doch mal ein bisschen Nachhilfe".Wir haben dann ein paar Stunden geredet und am Ende meinte er, "Madeleine, jetzt kannst du deinen Kollegen sagen, den ersten Investor hast du gefunden!"

In Hamburg und Köln haben wir vor Ort auch Gesellschafter mit drin, die an den Häusern beteiligt sind. Das motiviert total.

‪MG: Habt ihr für jedes Haus, jede Stadt eine neue Firma gegründet?

‪MM:Im Moment ja, in Sofia testen wir gerade eine andere Form aus. ‬

Unsere Zielgruppe und wir selber sind international unterwegs. Für uns ist es fast egal in welcher Stadt wir gerade arbeiten.

‪BJ: Habt ihr gleich von Anfang an geplant zu expandieren? Bei dem heutigen Instant-Info-Flow ist es ja bei jeder Geschäftsidee wichtig, dass man gleich in die Vollen geht, bevor die ganzen Copy-Cats aufholen.

Madeleine und Britta im Betahaus Café ‪MM: Wir hatten schon immer im Plan drin, dass wir mehrere Häuser aufmachen. Unsere Zielgruppe und wir selber sind international unterwegs. Für uns ist es fast egal in welcher Stadt wir gerade arbeiten. Als plötzlich eine Anfrage von der Co-Working Initiative Hamburg kam, ob sie uns mal besuchen kommen können, gab es eine riesige Diskussion im Team. Wir sind ja sechs Leute. Die einen haben gesagt, "Das ist Konkurrenz, denen würde ich gar nichts erzählen!" Aber Christopher meinte, "Das sind doch unsere Schwestern und Brüder im Geiste, die gehören doch zur Community. Natürlich unterstützen wir die!" Naja, wir haben uns irgendwo auf der Mitte getroffen und beschlossen, "Wir machen einen Co-Working-Day in Berlin und laden alle ein, die sich dafür interessieren. Da besprechen wir alles, bis auf die Zahlen."

Der Tag war auch super inspirierend für uns. Die Hamburger meinten am Ende des Tages, "Hey wir finden das so toll, was ihr hier schon auf die Beine gestellt habt. Das macht doch überhaupt keinen Sinn, dass wir das in Hamburg alleine machen. Lasst uns das doch zusammen machen". Unser Vertrauensvorschuss wurde belohnt. Mit 5 von den Hamburgern haben wir das betahaus | Hamburg gegründet. Für dort suchen wir übrigens zur Zeit eine neue Geschäftsführung.

Mich hat interessiert, dass das Umfeld nicht fertig war. Moritzplatz war ungemütlich, unbekannt und kantig.

‪MG: Wir interessieren uns dafür, wie euer Haus die Stadt beeinflusst. Es ist eine spannende Zeit gewesen in den letzten paar Jahren an diesem Ort, mit den Prinzessinnengärten und dem Modulorhaus. Was habt ihr zu der Umfeldveränderung beigetragen?

Moritzplatz Nachbarn: Foto BJ ‪MM: Als wir 2009 eröffnet haben war der Moritzplatz noch ziemlich unentdeckt. Andreas Krüger [von Modulor] erzählte uns aber damals schon von seinen Plänen für das Bechsteinhaus. Nach ein paar Wochen kamen ein paar Landschaftsgärtner vorbei und planten einen Garten… für uns klang das alles noch sehr weit weg.‬

Die haben sich immer alle bei uns im Café getroffen, weil es da ja sonst gar nichts gab. Ich kann mich noch gut erinnern, als zu Anfang eine Horde Kinder in Gummistiefeln durchs Café stiefelten und die bei uns Wasser geholt haben, bis sie ihren eigenen Wasseranschluss hatten.‬

Damals hat wirklich jeder gesagt, "Was wollt ihr denn am Moritzplatz?" Und jetzt ist der Moritzplatz in Berlin bekannt. Jetzt laufen Leute auch mal durch Zufall vorbei.

‪MG: Gab es einen bestimmten Grund, weshalb dort zu dem Zeitpunkt so viel auf einmal passiert ist? Hat dich irgendetwas an dem Umfeld interessiert oder mehr das Gebäude selbst?

‪MM: Mich hat interessiert, dass das Umfeld noch nicht so fertig war, dass es noch nicht so markiert war. Wir hatten uns auch Gebäude im Prenzlauerberg angeschaut, aber da wären wir einer unter vielen gewesen. Dieser Pioniercharakter am Moritzplatz, dass er ungemütlich, unbekannt und kantig war. Das fand ich herausfordernd. Im letzten Jahr hat sich das komplett verändert.

‪MG: Meinst du, dass ihr zu der Veränderung etwas beigetragen habt?

‪MM: Ja, ich glaube schon, aber in Kombination mit den Prinzessinnengärten und dem Modulor Haus war das nicht schwer. Unser Gebäude haben wir auf jeden Fall aufgewertet. Die Mieterschaft hat sich komplett gewandelt und die Mieten sind sicher gestiegen…

‪MG: Welche Aspekte an diesem Haus waren für euch am wichtigsten dafür, dass das so erfolgreich geworden ist. Du hast schon von dem Unfertigen gesprochen?

Betahaus Briefkasten ‪MM: Wichtig war, dass wir es nach vorne geöffnet haben, damit die Leute direkt reinlaufen können. Und was am Anfang toll war, es gab und gibt sehr viel Platz, den wir langsam füllen können. Jetzt wird's langsam eng. Vor ein paar Monaten ist Wolfgang Tillmans in eine der Etagen eingezogen. ‬

‪MG: Ist die Phase wo sich alles um euch herum entwickelt eher schädlich für euch oder hilft es euch?

‪MM: Für uns ist es nur gut. Wir leben ja davon, dass Leute auch durch Zufall vorbeikommen, und dass Leute sich mit dem Ort identifizieren können. Und das können sie jetzt noch mehr als vorher. Vorher waren es echt so Geeks und Nerds. Leute, die Lust auf Pionierleistung haben, so wie wir. Jetzt erreichst du natürlich auch Mainstream. ‬

‪BJ: Wie sehr hat sich das Publikum bei euch geändert?

‪MM: Hmm, es ist ein bisschen älter geworden, aber es ist immer noch eine sehr heterogene Zusammensetzung. Das mag ich ja so gerne, dass wir viele verschiedene Professionalitäten bei uns haben. Gestern wieder war unten in der Werkstatt eine Modedesignerin, die gerade so über die Runden kommt und im 4. Stock trifft sich gerade das Kreativteam von Car2Go, ein Carsharing Project von Daimler. Das alles in einem Haus und dazwischen ist alles möglich. Nur weil diese beiden Extreme da sind macht das auch Spaß.‬

‪MG: Was sind das für Leute, die bei euch arbeiten? Kommen die aus der näheren Umgebung, aus ganz Berlin oder der ganzen Welt?

Wir haben sehr viele internationle Gäste, die mit ihrem ganzen Büro Ferien in Berlin machen

Betahaus Werkstatt ‪MM: Ich glaube wir haben so 20-30% internationale Leute. Im Sommer ein bisschen mehr, weil wir sehr viele internationle Gäste haben, die mit ihrem ganzen Büro Ferien in Berlin machen. Wir halten alle Meetings in Englisch, weil immer irgendjemand dabei ist der kein Deutsch kann. Der älteste Coworker ist bestimmt schon 60, die jüngsten sind frisch von der Uni. Ein sehr grosser Teil unserer Member sind Developer, Journalisten oder Grafiker. Ca 30% haben gerade ihr eigenes Start up gegründet oder die erste Firma verkauft und legen jetzt einen Neustart hin. Die machen jetzt ihre zweite oder die dritte Sache, sind also in ihrem aktuellen Projekt ein Start-up, haben aber in ihrem Leben schon zwei, drei Sachen hinter sich und die treffen dann auf die Leute, die frisch von der Uni kommen.

‪BJ: Heute ist es ja durchaus üblich, schon als Schüler sein erstes Start-up erfolgreich oder unerfolgreich abgeschlossen zu haben. Und an den Universitäten gibt es schon seit längerem Existenzgründungszentren, wo man sich sofort professionell beraten lassen kann.

‪MM: Ja, die möchten gerne, dass wir mit ihnen kooperieren. Die meisten sind irgendwo in Dahlem Dorf oder in Adlershof und da sprechen sie ihre Wissenschaftsgeeks an, aber nicht die Startups von der Strasse. Wir selbst haben ja unsere ersten Erfahrungen in der Politikfabrik gesammelt. ‬

‪BJ: Die zweite Sache ist aufgebaut. Ist sie für dich noch spannend genug?

‪MM: Das letzte Mal habe ich im April gesagt, das mich das Tagesgeschäft langweilt, aber als kurz darauf das Rechnungssystem zusammen brach, war es plötzlich gar nicht mehr langweilig!

‪Das Betahaus ermöglicht eine neue Art von Raumnutzung und Zusammenarbeit, die durch den technischen Fortschritt möglich geworden ist.

‪MG: Wir haben früher eine Internet Datenbank für temporäre Nutzung entwickelt. Damit sollte die Suche nach freien Räumen in der Stadt vereinfacht und verkürzt werden. Durch die neuen technologischen Möglichkeiten sollten Freiräume effektiver genutzt werden. Das lief im Rahmen eines europaweiten Forschungsprojektes. Leider wurde der Schwerpunkt des Projektes mehr und mehr in die analytisch, theoretische Richtung verlagert, so dass unser praktisches Tool, die Datenbank nie mehr in die Testphase kam.

‪MM: Du musst dich mal mit Tanja Mühlhans treffen. Vor einigen Wochen haben wir uns mit ihr getroffen und haben genau das gefragt, "Wo sind hier die Freiflächen? Wie kann man auf die zugreifen?" Sie meinte es wäre ziemlich schwierig, da ein transparentes System aufzubauen.

‪MG: Ja, es ist ein grosses Problem. Inzwischen hat sich die Wichtigkeit der Freiflächen endlich in das Bewusstsein der Stadtplaner-Szene in Berlin eingeschlichen. Damals war das noch ziemliches Neuland. Kein seriöser Architekt hat irgendwas für temporäre Nutzungen vorgeschlagen. Letztendlich gibt es viele soziale und rechtliche Hintergründe, weshalb temporäre Nutzung so schwerfällig ist.‬

Betahaus Coworking Space Das Betahaus ermöglicht eine neue Art von Raumnutzung und Zusammenarbeit, die durch den technischen Fortschritt möglich geworden ist. Durch das mobile Büro kann man sowas machen, vorher war das so nicht möglich. Ich sehe, dass diese Möglichkeit unsere Stadtnutzung total verändern wird. Hast du ein Gefühl in deinem täglichen Leben, wie sich das auswirkt?

‪MM: Viele Leute kommen bei uns rein und sagen, "Mensch, sowas habe ich immer gesucht, aber ich wusste nicht, dass ich genau das gesucht habe!" Auf der anderen Seite sind wir auch immer noch ein ganz kleines Kreuzberger Startup. Das Risiko, dass unser Konzept nicht auf geht ist vorhanden. Diese Spannbreite, in der wir uns gerade befinden, macht total viel Spaß!

Wir bekommen regelmässig Besuch aus der Senatsverwaltung. Im aktuellen Koalitionsvertrag steht sogar drin, dass die Koalition Coworking Spaces unterstützen will, aber wie und in welcher Form ist noch nicht klar. Wir haben uns schon vor zwei Jahren den Mund fusselig geredet, aber erst jetzt ist Coworking salonfähig und politikfähig geworden. Jetzt werden wir ins Rathaus eingeladen, aber vor 3 Jahren, wo wir das eigentlich gebraucht hätten, da war keiner soweit. Das ist ein bisschen schade, aber es ist uns auch so ein bisschen egal. ‬

‪MG: Ja, die Prozesse der sozialen Akzeptanz dauern sehr lange und Städte verändern sich sehr langsam. Die Politiker wechseln zwar, aber die Leute in der Verwaltung sind da lebenslang und wenn du bedenkst, dass die in den siebziger Jahren ausgebildet wurden und wie sehr sich die Gesellschaft in der Zeit verändert hat.‬

Ich finde die Idee spannend, dass Leute einen Arbeitsurlaub machen. Ein Architektenkollege hat uns erzählt, wie sie vor 15 Jahren mal mit dem ganzen Büro auf die Kanaren geflogen sind, mit Tischen und Reissbrettern, um einen Wettbewerb zu machen. Es gab damals noch keine Computer zum zeichnen. Sie sind mit dem Modell zurück geflogen und haben die Tischplatten dagelassen. Heute passiert sowas andauernd, durch die billigen Reisemöglichkeiten und Orte wie das Betahaus. Ich würde gerne die andere Seite hören. Wie sieht das bei euch aus, wenn die Leute bei euch Urlaub machen?

Wir sind ein analoger Ort, für die digitale Boheme, die endlich wieder einen Ort haben, wo sie sich treffen können.

‪MM: Der erste, der kam aus Montreal mit seiner Frau und meinte er macht Traworking [travel working]. Er war der erste, der ganz bewußt für ein halbes Jahr nach Berlin kam um im betahaus zu arbeiten. Danach hatten wir ein italienisches Team, ein französisches, ein dänisches und ein New Yorker Team. Sie bringen frischen Wind rein und erzählen uns, was in den anderen Städten so passiert. Wir selbst haben viel zu wenig Zeit zum Reisen, was ich sehr schade finde. Wir müssen fast jeden Tag in unserem Haus sein und wenn wir nicht da sind, haben wir immer Angst, dass irgendwas nicht klappt. Aber das gehört wohl dazu - unsere Gäste sind weit gereist und international.

Madeleine von Mohl ‪MG: Ja, letztendlich kann man über den technologischen Fortschritt reden und reden, aber die meisten Geschäfte sind an Orte gebunden. Es sind wenige, die diesen Traworking Lebensstil leben können, aber es werden offensichtlich immer mehr.

‪MM: Wir sagen ja auch immer, "Wir sind ein analoger Ort, für die digitale Boheme, die endlich wieder einen Ort haben, wo sie sich treffen können."

‪BJ: Ein richtiger, echter Ort, der auch bis in die kleinsten Aspekte gut ist, wird immer wichtiger. ‬

‪MG: Das ist genau das Thema, was uns so stark interessiert. Wie kreiert man einen lebendigen Ort? Die Architektur ist ja nur eine Komponente. ‬

‪MM: Ich merke, dass wir total zuverlässig sein müssen. Unser Part steht fest, wir sind Community. Ob unsere Gäste da sind weiß man nicht. Ob jetzt zu einer Veranstaltung fünf oder 500 kommen, kann keiner sagen, aber wir müssen da sein, permanent da sein.

Dieser Blog möchte ermutigen, Stadt selbst zu machen

Do It Yourself-Internationale Bauausstellung

In Berlin die geplante Stadt wird komplementiert von einer Stadt der Initiativen, einer Stadt in der urbane Innovation von einer dynamischen Biosphäre von Aktivisten, Künstlern und Gründern angetrieben wird. Berliner bauen ihre Stadt selbst. Heute beteiligen sich mehr lokale Akteure als je zuvor daran, das neue Paradigma zu formen. Sie testen neue Modelle für nachhaltige, sozial integrierte Projekte.

Obwohl DIY (Do It Yourself) Stadtentwicklung in Berlin's Geschichte verwurzelt ist, werden diese Projekte noch immer als isolierte Fragmente wahrgenommen. Als einen ersten Schritt will die DIY-IBA diese Fragmente sichtbarer machen.

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