Rechtsstruktur als ein Design Instrument
- Geschrieben von: Matthew Griffin |
- Erstellt: Dienstag, 22. November 2016 11:13
In diesem Artikel geht es um die stetige Weiterentwicklung der Beziehung zwischen Architektur und Gesetzgebung. Er basiert auf unserer langjährigen Erfahrung als Architekten, insbesondere bezogen auf unsere Arbeit an Frizz23, einem der drei Projekte, die für die PxB Grundstücke um den ehemaligen Blumengroßmarkt ausgewählt wurden.
Um bestimmte Ergebnisse erzielen zu können, haben wir unser Aufgabenfeld als Architekten über die traditionelle Leistungsbeschreibung des Berufs hinaus erweitert. Wir sehen keinen Unterschied in der Lösung von konkreten Designproblemen und der Lösung von prästrukturellen Problemen, die aus der Gesetzgebung entstanden sind.
Das beigefügte Diagramm zeigt die verschiedenen Ebenen von Interaktion zwischen dem Netzwerk der Frizz23 Akteure und der projektrelevanten Gesetzgebung, auf die sich dieser Artikel konzentriert. Innerhalb jeder Ebene haben wir verschiedene Strategien verfolgt, um entweder das Gesetz dem Projekt oder das Projekt dem Gesetz anzupassen.
1. Aktiv die Gesetzgebung verändern
Als Mitglieder und Unterstützer der Initiative Stadt Neudenken haben wir aktiv daran mitgewirkt, die Berliner Gesetzgebung für den Verkauf von landeseigenen Grundstücken zu verändern. Ein breit geführter Dialog zwischen der Zivilgesellschaft und den gesetzgebenden Institutionen hat die Prozesse stufenweise und langsam in Bewegung gebracht und hat letztendlich zu der Gesetzesänderung im Konsens mit der Zivilgesellschaft geführt. Die Verhandlungen, die am Rundentisch zur Liegenschaftspolitik im Jahr 2012 begannen, kommen voran, aber viele Punkte müssen noch weiter entwickelt werden.
Das Auswahlverfahren, das für den Verkauf der drei PxB Grundstücke um den ehemaligen Blumengroßmarkt entwickelt wurde, ist ein entscheidender Meilenstein in diesem Prozess der sich langsam verändernden Berliner Liegenschaftspolitik. Dieses Pilotauswahlverfahren wurde von einem Gremium aus den verschiedenen, am Grundstücksverkauf beteiligten Institutionen entwickelt und während des Verkaufsprozesses immer weiter verfeinert. Es gipfelte in einer Ausstellung und einem öffentlichen Workshop, in dem die Auswahl der besten Projekte für jedes Grundstück vorgestellt und die Auswahlkriterien erläutert wurden. Als eine erste Fallstudie inspirieren die drei PxB Projekte am ehemaligen Blumengroßmarkt die weitere Arbeit an der Verbesserung der Gesetzgebung, die den Verkauf landeseigener Berliner Grundstücke regelt.
Gesetzesänderungen dauern länger als das Design und die Bauphasen eines Gebäudes. Als Architekten sind unsere Mögichkeiten begrenzt. Wir müssen innerhalb der bestehenden legalen Strukturen arbeiten und können am besten durch den Bau innovativer Beispiele schrittweise zu Verbesserungen in der Gesetzgebung beitragen.
2. Beispiele entwickeln für zukünftige Gesetze
Die drei Projekte, die von der Jury für die Grundstücke ausgewählt wurden, basieren alle auf innovativen und kooperativen Entwicklungsmodellen, die von Architekten initiiert wurden. In den Grundstückskaufverträgen war festgeschrieben, dass die Käufer der Grundstücke zu der Durchführung von Architekturwettbewerben verpflichtet sind. Da die drei Projekte jeweils von Architekten entwickelt wurden und die Architektur, parallel zu der sich ständig experimentell verändernden Gesamtprojektentwicklung, entworfen werden mußte, war die Durchführung von Architekturwettbewerben für diese komplexen Entwicklungsprozesse nicht möglich. Aus diesem Grund entwarfen wir eine alternative, dialogorientierte Entwurfsverfahrensweise, das Qualifizierende Verfahren und handelten mit allen Beteiligten eine dahingehende Veränderung in den Verträgen aus.
Dieses Qualifizierende Verfahren fand in vier Workshops innerhalb von 18 Monaten statt. Vertreter der Senats- und der Bezirksstadtplanungsverwaltung diskutierten die drei Projektentwürfe gemeinsam mit externen Experten und Vertretern lokaler Initiativen und mit den Bauherren und Architekten. Der kontinuierliche Dialog zwischen allen Beteiligten führte zu stetigen Verbesserungen und Anpassungen an die verschiedenen Bedürfnisse. Dieser intensive Dialog sorgte für einen einzigartigen, nicht auf Wettbewerb beruhenden Rahmen, innerhalb dessen architektonische Qualität gesichert und Konsens und Unterstützung zwischen den unterschiedlichen Interessensvertretern erzielt wurde. Der Dialog förderte eine tiefgehende Interaktion zwischen den Interessensvertretern und den Architekten, während sich die Projekte immer weiter entwickelten. Der Prozess kreierte ein Arbeitsfeld, das hervorragendes partizipatives Design begünstigte.
Dieser Präzedenzfall des Qualifizierenden Verfahrens dient als Referenz, um Gesetze dahingehend zu verändern, dass Dialog orientiertes Design, als eine tragfähige, kooperative Alternative zu Architekturwettbewerben, ermutigt und ermöglicht wird.
3. Grenzen bestehender Gesetze ausdehnen
Das Qualifizierende Verfahren gab uns die Chance das architektonische Potential zu untersuchen, das über den Bebauungsplan hinausging. Während der vier Workshops konnten wir ein breites Panel von Experten in Anspruch nehmen, um Ausnahmen und Befreiungen auszuhandeln, was sonst nur schwer möglich gewesen wäre.
Um den im Qualifizierende Verfahren abgestimmten Entwurf zu bauen, benötigten wir sieben Ausnahmen von dem Bebauungsplan. Die sichtbarste Ausnahme war die Höhenüberschreitung in einer Teilfläche des Gebäudes, bei gleichbleibender Bruttogeschossfläche (BGF), um so durch die Verschiebung der erlaubten BGF, die markante Silhouette des Gebäudes zu erzielen.
Ökonomisch getriebene Projekte vermeiden es Ausnahmen zu beantragen, um Zeitverluste auszuschließen und um kein Risiko eingehen zu müssen. Dies begünstigt Gebäude, deren Architektursprache in erster Linie durch die Gesetze definiert sind, anstatt eventuell durchsetzbare architektonische Prioritäten auszudrücken.
4. Rechtliche Strukturen entwerfen, um dem architektonischen Potential Raum zu geben
Um Frizz23 in seiner Kleinteiligkeit und seiner differenzierten Nutzerstruktur zu ermöglichen, haben wir eine zweischichtige Eigentümerstruktur entworfen.
Die äußere Schicht bildet eine Baugemeinschaft zwischen drei eigenen Grundstücken für jeweils verschiedene Gesellschaften, jede mit ihrer eigenen Eigentümerstruktur: Forum Berufsbildung e.V. ein gemeinnütziger Verein für Weiterbildung, Miniloft Kreuzberg GbR ein Hotelbetrieb, als dessen Eigentümer wir uns, zusätzlich zu unserer Rolle als Architekten, engagieren, und die FrizzZwanzig GbR, eine Baugemeinschaft, die wir gegründet haben, um den Löwenanteil des Projektes zu schultern.
Um Forum Berufsbildung e.V. in das Projekt zu integrieren, mußten wir eine vertragliche Lösung für die komplexen rechtlichen Anforderungen eines gemeinnützigen Vereins erarbeiten. Wir haben diverse Experten konsultiert, die uns geholfen haben, eine rechtliche Struktur zu entwerfen, die das Gebäude, an der Schnittstelle von Steuer-, Gesellschafts- und Planungsrecht, möglich machte.
Die Architektur ist Ausdruck dieser komplexen Eigentümerstruktur – einteilig, dreiteilig, kleinteilig.
5. Gesetzgebung dem Design anpassen
Die kooperativen, von Architekten entwickelten Baugruppen-Projekte, erforschen neue Modelle architektonischer Produktion und sie haben Lücken in der deutschen Gesetzgebung sichtbar gemacht.
Zum Beispiel haben die Gerichte die Bundesregierung aufgefordert, die Gesetzeslage zur Grunderwerbssteuer so zu verändern, dass die spezifischen Bedürfnisse der Baugruppen-Modelle berücksichtigt werden. In der Zusammenarbeit mit vielen Experten haben wir einen Vertrag für die FrizzZwanzig GbR entwickelt, der es nicht nur ermöglicht eine Gemeinschaft zu bilden, sondern der auch die Risiken aller Beteiligten minimiert. Eine der größten Herausforderungen war es, die Verträge so zu entwerfen, dass sie in Aussicht gestellte Gesetzesänderungen berücksichtigen, die erst kurz nach Fertigstellung des Gebäudes möglicherweise in Kraft treten.
Wenn ein Bauprojekt über die Standardmodelle hinausgehend entwickelt werden soll, wird die Aufgabe, die rechtlichen Strukturen hierfür zu entwerfen, in der Regel Rechtsanwälten überlassen. Indem das Potential einer rechtlichen Rahmenstruktur als ein Designinstrument begriffen wird, können Architekten ihren Aktionsradius erweitern und mehr Kontrolle über ihr Werk erzielen.
Dieser Beitrag entstand als ein Vorschlag für die Ausgabe Legislating Architecture – Gesetze gestalten! der ARCH+.